Kategorien
Dies & Das Hilfe zur Selbsthilfe

Toxische Beziehungen

I‘m addicted

Let’s just say
It’s a twisted game
How we take our turns
On who’s bad each day.

Wrapped in love
Seal it with a kiss
That’s a futile love
We’d get bored of this.

I’m addicted
I know I want to stay
Stay with you desite […]“

Als ich das Lied zum ersten Mal bewusst wahrnahm, lief es in Dauerschleife bei uns zu Hause. Eine Freundin meines Sohnes hat es zusammen mit ihrem Freund produziert und singt es auch. Super schönes Lied, tolle Stimme, krasser Songtext. Meine Neugierde ist geweckt. 

 

Solche Lieder entstehen ja meist nicht einfach so. Oftmals werden Erfahrungen wieder gegeben. Also frag ich nach und bekomme bestätigt, die Dame war in einer solch toxischen Beziehung. Bislang war mir diese Begrifflichkeit eher aus meiner Ausbildung und meiner Arbeit vertraut und weniger aus dem Mund meiner Kids. Aber toxisch scheint – wenn ich mich so umhöre – eher normal zu sein, denn die Ausnahme. Was passiert da nur? Wie kann es sein, dass Beziehungen so entgleisen? Und wieso frage ich mich, hält man an solch einer Beziehung fest? Als ich im Alter meiner Kids war, hat man, wenn eine Beziehung unbefriedigend war, Schluss gemacht. Gut, vielleicht manchmal ein wenig zu voreilig, aber mit 25 zum Paartherapeuten? 

 

Ich weiß nicht.

Wann genau ist eine Beziehung toxisch?

Der Begriff „toxische Beziehung“ ist streng genommen kein wissenschaftlicher Begriff. Verwendet wird er häufig, wenn Verbindungen beschrieben werden, die mehr Kraft kosten als Kraft geben und in denen Kränkung, Kontrollsucht, Egoismus, Ignoranz und Beleidigungen eine große Rolle spielen. 

 

Studien des University College London zufolge kann eine solche destruktive Stimmung in Beziehungen langfristig auch körperlich schaden und dazu führen, dass die Beteiligten psychosomatische Beschwerden entwickeln, beispielsweise Herzprobleme. In dem Begriff toxische Beziehung schwingt also immer eine Warnung mit. Er bezeichnet Beziehungen, die man im Zweifel lieber auflöst, weil das Gegenüber einem eine giftige Liebe zukommen lässt. Die dramatische Beschreibung passt auf Beziehungen, in denen ein strafrechtlich relevantes Verhalten wie Missbrauch, Gewalt, Stalking und Betrug eine Rolle spielt. Gerät man in eine Partnerschaft, die in eine solche Richtung geht, ist es tatsächlich wichtig, sich klar abzugrenzen, sich Hilfe zu holen, sich zu trennen“. (*1)

 

Psychotherapeuten und Paartherapeuten gehen allerdings davon aus, dass in 90 Prozent aller Beziehungskrisen das Label „toxische Beziehung“ mehr Nachteile als Vorteile bietet. Es wird zu schnell be- und verurteilt. Ähnliches erleben wir mit dem Begriff Mobbing. Erst gestern erzählte mir eine Freundin, dass in der Schule bereits von Mobbing gesprochen wird, wenn beim Schulsport, in dem für Mannschaftssportarten Gruppen gebildet werden, ein Kind als letztes in die Mannschaft gewählt wird. Ich war auch nicht gerne die Letzte. Aber ist das dann gleich Mobbing? Ist es toxisch, wen ich mich in meiner Beziehung unwohl fühle und nicht alles so läuft, wie ich es mir vorstelle? Allzu häufig sind wir schnell dabei, jemanden abzustempeln und als beziehungsunfähig zu bezeichnen. Dabei kann es durchaus sein, dass die betroffene Person einfach schlecht kommuniziert, nicht gelernt hat zu streiten oder aber nicht weiß, wie sie sich wehren soll, weil womöglich ich die toxische Person bin und sie sich schweigend zurückzieht.

Normal oder toxisch?

Nun gibt es aber Dynamiken, die nachdenklich machen:

Eine Dame, mit der wir für unser Buch gesprochen haben, berichtete von ihrem fremdgehenden Ex: „Er hat mein Leben bestimmt. Er entschied, was ich zu tun und zu lassen hatte, wen ich treffen durfte und wen nicht, ob und was ich beruflich tun darf und was nicht. Wenn zu Hause Unordnung herrschte – es war eine Einkaufstüte, die noch nicht vollständig ausgepackt war – brüllte er mich an und meinte ich sei zu nichts zu gebrauchen. Nicht mal Ordnung könne ich halten. Ich bräuchte mich nicht wunder, dass er fremdgehen würde. Ich konnte ihm nichts richtig machen.“ Tränen stehen ihr in den Augen und ich sehe immer noch die Hilflosigkeit.

 

Ein anderes Beispiel: die Tochter meiner Freundin war bis über beide Ohren verliebt. Die Beiden haben jede freie Minute zusammen verbracht. Wenn sie nicht zusammen waren, haben sie telefoniert. Junge Liebe. Herrlich. In diesem Fall aber weniger herrlich. Meine Freundin machte sich Sorgen. Der junge Mann erschien ihr etwas übergriffig. Immer dann, wenn ihre Tochter eine Freundin besucht hat, telefonierte sie die meiste Zeit mit ihm. Wenn sie mit der Familie unterwegs war, hing sie ebenfalls ständig am Telefon. Darauf angesprochen, verteidigte die Tochter das Verhalten mit „er vermisst mich halt“. Manchmal muss man als Mama oder Papa in den Tisch beißen. Manchmal lohnt es sich aber auch dranzubleiben. Denn dieses Verhalten hörte auch nach der Verliebtsein-Phase nicht auf. Der Gute respektierte einfach nicht, dass die Tochter neben der Zweisamkeit auch noch andere Interessen hatte. Unglücklicherweise konnte sie sich nicht durchsetzen. Sie wusste nicht wie. Immer wenn sie ihm sagte, sie würde gerne eine Freundin besuchen oder den Tag mit der Familie verbringen, unterstellte er, sie würde ihn nicht lieben und andere vorziehen. Wie damit umgehen?

 

Und ein letztes Beispiel: ich hatte einige Freunde zu einer Party eingeladen. Zwei Stunden vor Beginn, rief mich ein völlig aufgelöster Freund an, er könne nicht kommen, da er befürchte, seine Freundin würde gerade alle geschäftlichen Mails von seinem Rechner löschen. An diesem Satz erschien mir so vieles schräg. Wieso sollte seine Freundin seine Mails löschen und wieso hat die Gute Zugriff auf diese, mal unabhängig davon, dass das datenschutzrechtlich ein Vollkatastrophe ist? Nun ja, räumt er ein, sie hätten sich gestritten. Aber deswegen löscht man keine Mails. Und nochmal, wieso hat sie Zugriff? Ich lies nicht locker. Sie sei so eifersüchtig. Um sie zu beruhigen, darf sie alles einsehen. Mails. Handy, einfach alles. Ich war sprachlos. Er gibt seine komplette Privatsphäre auf, damit sie weniger eifersüchtig ist? Laut sagte ich: „Aha“, sage ich, „und? Hilft es?“. Die Antwort kann sich jeder denken. Er kam an dem Abend nicht. Leider. Die Mails wurden gerettet. Die Krise vorerst beendet. Er hat allerdings immer noch keine Privatsphäre.

Warum trennst Du Dich nicht?

Ob die oben aufgeführten Geschichten Beispiele für toxische Beziehungen sind? Kann sein, muss aber nicht. Auf jeden Fall stimmt jede Geschichte auf ihre Art nachdenklich und man fragt sich, warum tun die betroffenen Menschen sich das an? Warum trennen sie sich nicht einfach? Gute Frage. 

 

Manchmal wiederholen mit solchem Verhalten Kindheitsmuster. Manchmal profitieren aber auch beide Parteien von dieser Form der Beziehung. Für Außenstehende ist das manchmal nicht nahvollziehbar. Aber es wäre übergriffig, sich einzumischen. Es ist nun mal die Entscheidung der beiden Parteien. Nie werde ich vergessen, wie ich eine Dame weinend im Coaching sitzen hatte. Wir sind bei ihrer beruflichen Situation gestartet und bei ihrer Figur gelandet. Sie war todunglücklich, was sie in alle Lebensbereiche übertrug. Sie erzählte mir aber auch, dass sie mit Weight Watchers bereits tolle Erfahrungen gemacht hat und sie sicher sei, dass das wieder möglich wäre. Was sie denn davon abhalte. Ihr Mann. Ich hatte viele Fragezeichen in den Augen. Völlig „un-coach-haft“ zusammen-gefasst zeichnete sie mir dann das Bild eines absoluten Machos. Er lässt sich von vorn bin hinten bedienen, trägt nichts zur Kindererziehung und noch weniger zum Haushalt bei. Ich hatte volles Mitgefühl. Umso überraschter war ich dann als ich herausfand, dass sie in der genau dieser Rolle aufgeht. Ich konnte es an ihren Augen sehen. Innerlich war ich sprachlos. Es widerspricht allem, was mir persönlich wichtig ist. Aber es ist eben mir wichtig. Nicht ihr. Solange keinem Schaden zugefügt wird und sich beide wohlfühlen in ihren Rollen, haben wir kein Recht, das zu be- oder zu verurteilen. 

 

Wir haben aber jedes Recht es in unserer Beziehung anders zu machen.

Wir können Menschen nicht verändern

Viele von uns haben eine bestimmte Vorstellung davon, wie eine Beziehung sein soll. In der Verliebtseins-Phase ist das alles noch nicht so wichtig. Mit der Zeit aber verschwinden die rosaroten Wolken und unsere Bedürfnisse treten wieder in den Vordergrund. Wenn dann das große Erwachen kommt, versuchen wir alles, damit unsere Beziehung in unser Bild passt. Der Partner bzw. die Partnerin soll am besten genau das tun, was wir wollen oder brauchen. Häufig, indem wir versuchen, den anderen zu verändern. Was wir jedoch vergessen. Man kann andere nicht verändern. 

Wenn ich mich in einen geselligen Menschen verliebe und dann verlange, dass dieser bei mir zu Hause bleibt, weil mir Zweisamkeit wichtig ist, wird das vermutlich in einer Enttäuschung enden. Oder um ein eigenes Beispiel anzuführen: ich habe meinen Mann im Rahmen eines Auftrags auf einem Schiff kennengelernt. Er war quasi mein Ansprechpartner seitens des Kunden. Liebe gehörte nicht zum Auftrag. Die erwischte und einfach so. Worüber wir jedoch überhaupt nicht nachgedacht haben. Er arbeitet 24 Stunden, 7 Tage die Woche und das vier Monate am Stück. Er ist dann einfach mal weg. Jetzt könnte ich ihm ans Herz legen, sich einen Job an Land zu suchen. Ich könnte es etwas subtiler ganz im Sinne von Watzlawick formulieren: „Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du dir einen Job an Land suchen.“ Wenn ich ihn wirklich liebe, lasse ich ihn da, wo er ist Er liebt seinen Job. Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Was aber, wenn es nicht auszuhalten. Wenn vier Monate allein einfach zu lang sind. Doch auf Veränderung drängen?

Akzeptieren ist auch eine Form loszulassen

Das Zauberwort heißt Akzeptanz. Zum Beispiel zu akzeptieren, dass eine bestimmte Sache, die mir wichtig ist, sich nicht ändern wird. Gelingt mir das, bin ich meist nicht mehr angriffslustig, sondern eher traurig. Traurig, weil ich etwas loslassen muss. In meinem Fall wäre zu akzeptieren, dass ich vier Monate auf mich gestellt bin. Wenn ich dazu „ja“ sage und es akzeptiere, dann können wir schauen, wie wir diese vier Monate gut überbrücken. Ich würde ihm aber nicht ständig in den Ohren liegen wie ätzend es ist, dass er nicht da sein kann. Wenn ich „nein“ dazu sage, muss ich unsere Beziehung und damit ihn loslassen. Das Gute daran ist, es ist ein neuer Status erreicht, in dem manchmal etwas Gutes und Neues entsteht.

 

Zurück zu den toxischen Beziehungen. Wann weiß ich, dass ich in einer toxischen Beziehung stecke oder gar selbst toxisch bin? Natürlich gibt es Hinweise, das zu erkennen. Das Internet ist voll von Merkmalen. Da ist die Rede von „doppelten Botschaften“, „Love-Bombing“, „Mikrogewalt“, „übermässige Kontrolle“, „Gaslighting“ oder auch „Schweigen“ um nur einige zu nennen. Alles Verhaltensweisen, die auf die ein oder andere Weise manipulieren.

 

Was tun. Nun ja. Der erste Schritt ist immer miteinander sprechen. Wichtig dabei ist: es geht nicht um Recht haben und überzeugen. Es geht um miteinander reden und deutlich machen, was konkret stört und welche Verhaltensveränderung erwartet wird. Bevor man jemanden also gleich als toxisch abstempelt: reden hilft. 

 

Und wenn Reden nicht (mehr) hilft: Geh! Es ist deine Entscheidung.

(*1) Psychologie heute Compact, Schwierige Beziehungen, Artikel: „Es ist kompliziert“, Anne Otto, Seite 16, Beltz 2021, Heft 67

Kategorien
Gedankenwelt Hilfe zur Selbsthilfe

Liebe mich!

Menschen beobachten ist etwas Großartiges. Meistens artet es aber aus und über kurz oder lang sitzt man sprichwörtlich bei den beiden griesgrämigen Opas aus der Muppet Show, Waldorf und Stadler auf dem Balkon. Durch unseren Job als Coach haben wir gelernt tatsächlich einfach nur zu beobachten. Ohne Bewertung. Nur hinschauen, wahrnehmen und Hypothesen bilden. Würde ich jetzt behaupten niemals zu bewerten, wäre das gelogen. Es gibt Situationen, da platzt auch mir der Kragen und es ist mir schnurzegal, dass der- oder diejenigen triftige Gründe haben mag, sich so zu verhalten. Es nervt einfach. In den meisten Fällen gelingt es mir jedoch die Bewertung außen vor zu lassen, neugierig zu bleiben und zu verstehen. Weswegen erzähle ich das … nun ja, ich habe ein Paar beobachtet und mir so meine Gedanken gemacht.

Kreuzfahrt. Karibik. Seetag.

Ich sitze auf dem Spinnbike, radle mit toller Musik auf den Ohren vor mich hin, genieße den Blick aufs Meer und das Pooldeck und beobachte die Menschen. Ein Paar fällt mir auf. Beide liegen sie auf diesen Sonnenliegen, die viel zu dicht nebeneinander stehen. Genießen sie den Augenblick? Ich weiß es nicht. Plötzlich setzen sich beide auf und drehen sich um 90 Grad, so dass sie sich anschauen können. Auge in Auge sitzen sie voreinander. Er hat die Beine gegrätscht, so dass sie ihre Beine dazwischen stellen kann. Obwohl kaum Platz für die Beine ist, berühren sie sich nicht. Er beugt sich zu ihr, sie geht automatisch zurück. Er lehnt sich wieder zurück. Sie folgt der Bewegung. Er will sie berühren, sie weicht aus. Sie legt ihm die Hand auf den Oberschenkel, zieht sie wieder zurück. Er sagt etwas, sie antwortet. Er beugt sich wieder vor und will sie küssen, sie legt ihm die Hand auf den Mund. Das Spiel beginnt von vorn. Er sagt was, beugt sich vor, sie lehnt sich zurück. Faszinierend. Er versucht wieder sie zu küssen. Dieses Mal hebt sie die Hand und streckt den Zeigefinger nach oben, als würde sie eine „1“ andeuten. Der Mittelfinder kommt dazu. „2“. Ich frage mich, was bei den beiden abgeht. Zu gerne würde ich Mäuschen spielen. Seine Körpersprache hat etwas Flehendes, Bittendes. Ihre etwas Dominierendes, fast schon Ablehnendes. Ich werde es wohl nie erfahren. Es macht mich nachdenklich.

Beziehungen sind selten immer nur himmelhochjauchzend.

Laut David Schnarch, einem amerikanischen Paartherapeuten kann es in Beziehungen sogar längere Phasen geben, in denen die beiden Partner sich unfair und lieblos behandeln. Er nennt es den „normalen ehelichen Sadismus“. Es ist also völlig normal, dass hin und wieder der Haussegen schief hängt. Die Frage ist nur, wie das Paar damit umgeht. Das gilt übrigens nicht nur für Paar-beziehungen. Das gilt für jede Form von Beziehung. Auch im beruflichen Kontext. Ich bin der Ansicht, dass die wenigsten morgens aufstehen und sich überlegen, wem sie heute eins reinreichen können. Gerade in Paarbeziehungen ist zu empfehlen, eine gewisse Grundfreundlichkeit zu unterstellen. Umso nachdenklicher werde ich auf meinem Bike.

Darf ich dich küssen? Nein, darfst du nicht. Wer weiß schon, was zwischen den beiden, die ich beobachtet habe, passiert ist. Vielleicht wollte er sich für etwas entschuldigen. Vielleicht kämpft er gerade um ihre Liebe. Vielleicht braucht sie Zeit? Vielleicht ist sie in Gedanken und hat gerade keine Datei frei für Küsse. Vielleicht ist es aber auch einfach nur deren Dynamik in der Paarbeziehung.

Während ich so nachdenke, bin ich dankbar für die Art und Weise wie ich unsere Paarbeziehung erlebe. Es ist ein Geben und Nehmen. Leben und leben lassen. Beziehung war und ist für mich: 1 + 1 > 2. Ich habe „ja“ gesagt, mit dir zusammen zu sein. Ich habe mich für dich entschieden und ich entscheide mich jeden Tag aufs Neue für dich. Es steht dir frei, das Gleiche zu tun.

Für mich persönlich wäre es schrecklich, wenn mein Partner mich anbetteln würde: „Liebe mich“ oder „Ich tue alles was du willst. Bitte liebe mich.“ Das hat etwas von gefällig sein und aus meiner Sicht wenig mit Liebe zu tun.

Stabilität in mir bringt Stabilität in der Beziehung

Im Coaching nutze ich dafür gerne ein Modell. Ich schnappe mir zwei ähnlich große Objekte z. B. zwei Stifte und stelle beide auf den Tisch. Jeder Stift repräsentiert eine Partei in der Beziehung. Dann nehme ich ein drittes Objekt „die Beziehung“ und lege es auf die beiden Stifte. Je stabiler die beiden Parteien stehen, desto stabiler liegt „die Beziehung“ obenauf. Kippelt eine Partei, kippelt die Beziehung. Lehnt sich eine Partei an, steht also schief, muss die andere Partei ausgleichen. Heißt, je stabiler die beiden Parteien sind, desto leichter wird es, „die Beziehung zu tragen“.

Was aber braucht es, um stabil zu sein? Aus meiner Sicht das Wissen darüber, wer ich bin und was ich will. „Liebe mich“ kann durchaus etwas sein, das ich will. Die Frage ist nur, habe ich Einfluss darauf, dass mein Wunsch Wirklichkeit wird? Eher nicht. Man stelle sich vor, ich würde eine Liste der Dinge erhalten, die ich tun muss, damit ich geliebt werde. Wer sagt mir, dass ich dann auch wirklich geliebt werde. Womöglich bekomme ich nach erfolgreichem Abarbeiten der Liste eine nächste, so à la „ups vergessen“.

Manchmal passiert Liebe einfach. Oder besser Verliebtsein passiert einfach. Das war das mit dem Hormoncocktail 😉. Ob daraus eine Beziehung wird, ist eine Entscheidung. Ich kann mich entscheiden, einen Menschen zu lieben und mit ihm zusammen zu sein. Ich habe aber keinen Einfluss darauf, dass dieser Mensch auch mich liebt und mit mir zusammen sein möchte. Wie sagt Charifi so schön: „Ich liebe dich. Was geht dich das an.“ Indem ich weiß, wer ich bin und was ich will, ist es mir möglich zu definieren, was mir in einer Beziehung wichtig ist und kann so meinen Teil zu einer möglichen stabilen Beziehung beitragen. Damit hätte ich sogar so etwas wie eine Liste. Der oder die andere hat diese aber auch. Und wenn wir uns jetzt nicht selbst belügen, können wir prüfen, ob unsere Quasi-Listen zusammenpassen. Klingt einfach. Ist es aber nicht. Wir werden älter, weiser, das Umfeld verändert sich und vermutlich ändert sich das „was ich will“ auch immer mal wieder. Womöglich sogar das „wer bin ich“. 

 

Es gilt daher immer mal wieder zu checken, ob alles noch passt, was man besser machen kann und was verändert werden sollte. Im Job nennen wir das eine Retro. Vielleicht sollten wir in Paarbeziehung auch regelmäßige Retros einführen. Mein Mann und ich tun das. Oder anders gesagt, es ist sein Beitrag zum Gelingen unserer Beziehung. Nach dem Fremdgehdrama gibt es mir etwas mehr Sicherheit bzw. Gewissheit, dass wir frühzeitig Themen ansprechen. 

 

Eine Garantie gibt es mir nicht. Aber die brauche ich auch nicht.

Kategorien
Gedankenwelt Hilfe zur Selbsthilfe

Wehret den Anfängen

Nicht meine Schuld

Aus heiterem Himmel passiert “es” – das, von dem du immer geglaubt hast, das passiert nur anderen Paaren. Aber doch nicht in deiner eigenen Beziehung! Weil die ja super ist, ihr euch gut versteht, tolle Kinder habt, mal mehr und mal weniger Sex, ein sicheres Einkommen, Haus, Hund, eben alles was man sich von seinem Leben erträumt hat. Da kann doch nix schief gehen.

 

Und plötzlich das: der Typ geht fremd! Du bist am Boden zerstört, verstehst die Welt nicht mehr. Die Träume von endless love ausgeträumt. Der Abgrund, vor dem du nun stehst, scheint kaum überwindbar. Der Schmerz, die Enttäuschung, dein Leiden sind so groß. Nie hast du dich elender gefühlt.

 

Und dann kommt jemand um die Ecke, am besten die eigene Mutter oder gar das eigene Kind, und sagt etwas wie “Naja, ich habe es ja irgendwie kommen sehen.  So ganz unschuldig bist du daran ja auch nicht!” Das bringt das Fass dann zum Überlaufen. Sind wir jetzt etwa in der Kategorie Ist doch klar, dass du ständig von komischen Typen angemacht wirst, so wie du dich anziehst. angekommen?’ Die Empörung schnürt mir fast die Luft ab.

 

Gegen die Vorstellung, ICH könnte mit all dem auch nur ansatzweise etwas zu tun haben, habe ich mich damals mit Händen und Füssen gewehrt. Vermutlich war der Schmerz für mich leichter zu ertragen, indem ich all meine Wut auf die aus meiner Sicht einzig Schuldigen projizieren konnte: auf meine Mann und diese Frau.

 

Irgendwann, als der erste Schock verdaut war und ich die Dinge etwas klarer sehen konnte, kamen erste Zweifel. Waren wirklich nur er und diese Trulla schuld an der Misere? Oder gab es tatsächlich Anzeichen, die ich nicht sehen konnte oder wollte? Was war mein Beitrag?

 

Ich habe diese kritische Auseinandersetzung als eine der bittersten Pillen in der gesamten Verarbeitung erlebt. Man schaut eben nicht gern in den Spiegel! Nicht bei diesen Themen. So schwer es auch war, irgendwann musste ich einsehen, dass auch ich meinen Teil dazu beigetragen hatte, dass unsere Beziehung aus den Fugen geraten war. Diese bittere Einsicht hatte auch etwas Gutes: ich konnte ab da versöhnlicher mit meinem Mann umgehen. Ich interessierte mich tatsächlich für seine Gefühlswelt und sah nicht nur einen durchgeknallten, sturzverliebten Midvierziger, sondern auch den Mann, der wie ich um das trauerte, was wir beide über einen zu langen Zeitraum versäumt hatten: uns kontinuierlich um uns und unsere Beziehung zu bemühen.

Es fängt mit Kleinigkeiten an

Das Tückische ist ja, dass es so harmlos anfängt. Erst schleichen sich Kleinigkeiten ein. Ein unter den Teppich gekehrter Konflikt, ein Tag ganz ohne Kuss, fehlendes Interesse an der Antwort auf die Frage “Wie geht es dir?”, Umarmungen werden seltener und ehe man sich versieht, lebt man nebeneinander her. Einsam in der Zweisamkeit. Zwei funktionierende Individuen.

 

Die US-amerikanischen Sozialforscher James Q. Wilson und George L. Kelling haben dieses Phänomen in Zusammenhang mit der Verwahrlosung von Stadtteilen in New York 1982 als “Broken Window Theory” bezeichnet.

 

“Diese Theorie besagt, dass harmlose Verstöße gegen die Norm, wie beispielsweise ein zerbrochenes Fenster, der Beginn für den vollständigen Niedergang eines ganzen Systems sind. Mögliche Beweise kann man viele finden. So wurde zur Unterlegung der Theorie ein vollkommen intakter Jaguar in die südliche Bronx gestellt. Vier Tage vergingen und das Auto konnte ohne Kratzer wieder abgeholt werden. Keiner kam auf die Idee, den Wagen anzufassen oder gar schlimmeres damit zu machen. Das gleiche Experiment wurde kurz darauf wiederholt. Allerdings hatte man dieses Mal eines der kleinen Fenster eingeschlagen. Innerhalb von vier Stunden lag das Auto auf dem Rücken, wurde angezündet und ausgenommen. Die Lehre aus diesem Test lautet: „Beschädige etwas und kümmere dich nicht darum, andere werden es somit genauso behandeln“.* 

Man muss aber nicht unbedingt ein Auto opfern, um den Beweis für eine solche Theorie zu erbringen. Die Beobachtung des eigenen Mikrokosmos reicht häufig aus. Jeden Freitag ist bei uns Aufräumtag. Ich liebe es einfach, wenn alles an seinem Platz ist. Wehe es lässt jemand was liegen. Bei fünf Personen im Haushalt leider nicht so einfach zu realisieren. Über das Wochenende lässt dieser Anspruch deshalb oft nach und die ersten Dinge befinden nicht mehr auf ihrem Platz. Das Chaos findet seinen Weg.

Dein Bauch weiß längst was Sache ist

Ergo, wehret den Anfängen. Wenn sich irgendwas komisch oder nicht mehr richtig anfühlt, ist Handeln bzw. Reden angesagt. Das haben wir damals nicht getan, weil immer irgendwas wichtiger war. Heute hat es für mich absolute Priorität. Ich halte die umgehende Klärung eines “Das-ist-ja komisch-Gefühls” für den wichtigsten Teil von Beziehungspflege. Denn wenn die zerbrochene Fensterscheibe nicht unverzüglich repariert wird, finden wir uns schnell in einer Bruchbude wieder.

Mal Hand aufs Herz: wo gibt es in Deiner Beziehung kleine Risse oder Mängel? Wäre nicht genau jetzt der richtige Zeitpunkt, sie in Ordnung zu bringen?

*https://www.thewebhatesme.com/fuehrung/zerbrochene-fenster/

Kategorien
Gedankenwelt Hilfe zur Selbsthilfe

Manchmal hilft es, sich alles von der Seele zu schreiben

Wenn ich gefragt werde:

„Wie schreiben Sie?“,

antworte ich, ohne zu zögern:

„Ein Wort nach dem anderen.“

(Stephen King)

Lesen ist eine Leidenschaft von mir. Bevor ich Schuhe oder Handtaschen shoppen gehe, kaufe ich Bücher. Es ist etwas wunderbares, in andere Welten ein- und abzutauchen à la Audible: „Ich bin nicht Hanna aus dem Controlling, ich bin ein Experiment außer Kontrolle. Oder die strickende Oma, die nicht strickt, sondern die Fäden im Hintergrund zieht. Dass ich mal selbst Bücher schreiben würde, hätte ich nie gedacht. Cooles Gefühl. Aber warum gerade jetzt und warum gerade das Thema „Fremdgehen“?

 

Barbara Messer und Dr. Frank Hagenow haben es auf den Punkt gebracht. „Wir leben in besonderen Zeiten, die uns Menschen und unser Leben verändern. Diese Veränderungen möchten verstanden werden. Es heißt nicht umsonst: „Aus Steinen, die in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen.“ Die Steine im Alltag und auf dem Lebensweg sind eine Einladung in die Reflexion, in das Sinnen und die Fantasie. Aus einem schwarzen Handschuh, der am Wegesrand liegt, wird plötzlich ein Krimi. Aus einer Liebeserklärung wird ein Gedichtband und aus einem ganz persönlichen Anliegen, kann ein Buch werden.“

 

Das Schreiben war für diese Zeit der Heilung extrem wertvoll. Angefangen habe ich mit einem Tagebuch. Ich habe alles runter geschrieben, was mich beschäftigt hat. Ich habe meinen Mann mit allen Worten belegt, die ich so nie aussprechen würde. Ich habe geflucht, gewütet und ihn mit Worten in der Luft zerrissen. Seiner Trulla erging es noch schlechter. Ich habe mir förmlich meine Gedanken und Gefühle von der Seele geschrieben. Ich habe mir aber auch Fragen gestellt, mich hinterfragt, mich bemitleidet und getröstet. Manchmal fühlte sich das Schreiben an, als würde ich wie in Harry Potter die Gedanken aus meinem Kopf in ein Denkarium auslagern, in meinen Fall ist das Denkarium ein ipad. Ein sehr geduldiges ipad und wasserfest, wie sich herausstellte. Es hat alles jede Träne geduldig ausgehalten.

 

Anfangs schrieb ich mehrmals täglich. Dann nur noch täglich und als es mir langsam besser ging, nur noch, wenn mir danach war. Der letzte Eintrag war im August 2021. Manchmal blättere ich zurück und erinnere mich schmerzlich an diese Zeit. Manchmal freue ich mich aber auch, dass das alles der Vergangenheit angehört. Es hat sich gelohnt, alles aufzuschreiben.

 

Wenn wir schreiben, so Messner und Hagenow,

  • führen wir einen Dialog mit uns selbst,
  • erweitern wir unsere Gedanken,
  • vertiefen wir unser Wissen,
  • werden wir zur Expertin oder zum Experten unseres Themas,
  • beruhigen wir unsere innere Welt oder regen sie an.

Für mich war dieses Schreiben kostbare Zeit für mich selbst. Aber es war noch sehr viel mehr. Ich hörte meine eigenen Gedanken, meine inneren Stimmen. Es war wie Selbstcoaching. Eine perfekte Reflexion. So entstand die Idee, ein Buch zu schreiben.

 

Schreiben ist übrigens auch Teil der Verhaltenstherapie. Tagebuch als Therapieform. Probiert es doch einfach mal aus. Schreibt euch eure Gedanken von der Seele. 😊

 

Gabal-magazin.de, Warum Sie gerade jetzt ein Buch schreiben sollten, Barbara Messer und Dr. Frank Hagenow, aufgerufen am 10. November 2021