I‘m addicted

Let’s just say
It’s a twisted game
How we take our turns
On who’s bad each day.

Wrapped in love
Seal it with a kiss
That’s a futile love
We’d get bored of this.

I’m addicted
I know I want to stay
Stay with you desite […]“

Als ich das Lied zum ersten Mal bewusst wahrnahm, lief es in Dauerschleife bei uns zu Hause. Eine Freundin meines Sohnes hat es zusammen mit ihrem Freund produziert und singt es auch. Super schönes Lied, tolle Stimme, krasser Songtext. Meine Neugierde ist geweckt. 

 

Solche Lieder entstehen ja meist nicht einfach so. Oftmals werden Erfahrungen wieder gegeben. Also frag ich nach und bekomme bestätigt, die Dame war in einer solch toxischen Beziehung. Bislang war mir diese Begrifflichkeit eher aus meiner Ausbildung und meiner Arbeit vertraut und weniger aus dem Mund meiner Kids. Aber toxisch scheint – wenn ich mich so umhöre – eher normal zu sein, denn die Ausnahme. Was passiert da nur? Wie kann es sein, dass Beziehungen so entgleisen? Und wieso frage ich mich, hält man an solch einer Beziehung fest? Als ich im Alter meiner Kids war, hat man, wenn eine Beziehung unbefriedigend war, Schluss gemacht. Gut, vielleicht manchmal ein wenig zu voreilig, aber mit 25 zum Paartherapeuten? 

 

Ich weiß nicht.

Wann genau ist eine Beziehung toxisch?

Der Begriff „toxische Beziehung“ ist streng genommen kein wissenschaftlicher Begriff. Verwendet wird er häufig, wenn Verbindungen beschrieben werden, die mehr Kraft kosten als Kraft geben und in denen Kränkung, Kontrollsucht, Egoismus, Ignoranz und Beleidigungen eine große Rolle spielen. 

 

Studien des University College London zufolge kann eine solche destruktive Stimmung in Beziehungen langfristig auch körperlich schaden und dazu führen, dass die Beteiligten psychosomatische Beschwerden entwickeln, beispielsweise Herzprobleme. In dem Begriff toxische Beziehung schwingt also immer eine Warnung mit. Er bezeichnet Beziehungen, die man im Zweifel lieber auflöst, weil das Gegenüber einem eine giftige Liebe zukommen lässt. Die dramatische Beschreibung passt auf Beziehungen, in denen ein strafrechtlich relevantes Verhalten wie Missbrauch, Gewalt, Stalking und Betrug eine Rolle spielt. Gerät man in eine Partnerschaft, die in eine solche Richtung geht, ist es tatsächlich wichtig, sich klar abzugrenzen, sich Hilfe zu holen, sich zu trennen“. (*1)

 

Psychotherapeuten und Paartherapeuten gehen allerdings davon aus, dass in 90 Prozent aller Beziehungskrisen das Label „toxische Beziehung“ mehr Nachteile als Vorteile bietet. Es wird zu schnell be- und verurteilt. Ähnliches erleben wir mit dem Begriff Mobbing. Erst gestern erzählte mir eine Freundin, dass in der Schule bereits von Mobbing gesprochen wird, wenn beim Schulsport, in dem für Mannschaftssportarten Gruppen gebildet werden, ein Kind als letztes in die Mannschaft gewählt wird. Ich war auch nicht gerne die Letzte. Aber ist das dann gleich Mobbing? Ist es toxisch, wen ich mich in meiner Beziehung unwohl fühle und nicht alles so läuft, wie ich es mir vorstelle? Allzu häufig sind wir schnell dabei, jemanden abzustempeln und als beziehungsunfähig zu bezeichnen. Dabei kann es durchaus sein, dass die betroffene Person einfach schlecht kommuniziert, nicht gelernt hat zu streiten oder aber nicht weiß, wie sie sich wehren soll, weil womöglich ich die toxische Person bin und sie sich schweigend zurückzieht.

Normal oder toxisch?

Nun gibt es aber Dynamiken, die nachdenklich machen:

Eine Dame, mit der wir für unser Buch gesprochen haben, berichtete von ihrem fremdgehenden Ex: „Er hat mein Leben bestimmt. Er entschied, was ich zu tun und zu lassen hatte, wen ich treffen durfte und wen nicht, ob und was ich beruflich tun darf und was nicht. Wenn zu Hause Unordnung herrschte – es war eine Einkaufstüte, die noch nicht vollständig ausgepackt war – brüllte er mich an und meinte ich sei zu nichts zu gebrauchen. Nicht mal Ordnung könne ich halten. Ich bräuchte mich nicht wunder, dass er fremdgehen würde. Ich konnte ihm nichts richtig machen.“ Tränen stehen ihr in den Augen und ich sehe immer noch die Hilflosigkeit.

 

Ein anderes Beispiel: die Tochter meiner Freundin war bis über beide Ohren verliebt. Die Beiden haben jede freie Minute zusammen verbracht. Wenn sie nicht zusammen waren, haben sie telefoniert. Junge Liebe. Herrlich. In diesem Fall aber weniger herrlich. Meine Freundin machte sich Sorgen. Der junge Mann erschien ihr etwas übergriffig. Immer dann, wenn ihre Tochter eine Freundin besucht hat, telefonierte sie die meiste Zeit mit ihm. Wenn sie mit der Familie unterwegs war, hing sie ebenfalls ständig am Telefon. Darauf angesprochen, verteidigte die Tochter das Verhalten mit „er vermisst mich halt“. Manchmal muss man als Mama oder Papa in den Tisch beißen. Manchmal lohnt es sich aber auch dranzubleiben. Denn dieses Verhalten hörte auch nach der Verliebtsein-Phase nicht auf. Der Gute respektierte einfach nicht, dass die Tochter neben der Zweisamkeit auch noch andere Interessen hatte. Unglücklicherweise konnte sie sich nicht durchsetzen. Sie wusste nicht wie. Immer wenn sie ihm sagte, sie würde gerne eine Freundin besuchen oder den Tag mit der Familie verbringen, unterstellte er, sie würde ihn nicht lieben und andere vorziehen. Wie damit umgehen?

 

Und ein letztes Beispiel: ich hatte einige Freunde zu einer Party eingeladen. Zwei Stunden vor Beginn, rief mich ein völlig aufgelöster Freund an, er könne nicht kommen, da er befürchte, seine Freundin würde gerade alle geschäftlichen Mails von seinem Rechner löschen. An diesem Satz erschien mir so vieles schräg. Wieso sollte seine Freundin seine Mails löschen und wieso hat die Gute Zugriff auf diese, mal unabhängig davon, dass das datenschutzrechtlich ein Vollkatastrophe ist? Nun ja, räumt er ein, sie hätten sich gestritten. Aber deswegen löscht man keine Mails. Und nochmal, wieso hat sie Zugriff? Ich lies nicht locker. Sie sei so eifersüchtig. Um sie zu beruhigen, darf sie alles einsehen. Mails. Handy, einfach alles. Ich war sprachlos. Er gibt seine komplette Privatsphäre auf, damit sie weniger eifersüchtig ist? Laut sagte ich: „Aha“, sage ich, „und? Hilft es?“. Die Antwort kann sich jeder denken. Er kam an dem Abend nicht. Leider. Die Mails wurden gerettet. Die Krise vorerst beendet. Er hat allerdings immer noch keine Privatsphäre.

Warum trennst Du Dich nicht?

Ob die oben aufgeführten Geschichten Beispiele für toxische Beziehungen sind? Kann sein, muss aber nicht. Auf jeden Fall stimmt jede Geschichte auf ihre Art nachdenklich und man fragt sich, warum tun die betroffenen Menschen sich das an? Warum trennen sie sich nicht einfach? Gute Frage. 

 

Manchmal wiederholen mit solchem Verhalten Kindheitsmuster. Manchmal profitieren aber auch beide Parteien von dieser Form der Beziehung. Für Außenstehende ist das manchmal nicht nahvollziehbar. Aber es wäre übergriffig, sich einzumischen. Es ist nun mal die Entscheidung der beiden Parteien. Nie werde ich vergessen, wie ich eine Dame weinend im Coaching sitzen hatte. Wir sind bei ihrer beruflichen Situation gestartet und bei ihrer Figur gelandet. Sie war todunglücklich, was sie in alle Lebensbereiche übertrug. Sie erzählte mir aber auch, dass sie mit Weight Watchers bereits tolle Erfahrungen gemacht hat und sie sicher sei, dass das wieder möglich wäre. Was sie denn davon abhalte. Ihr Mann. Ich hatte viele Fragezeichen in den Augen. Völlig „un-coach-haft“ zusammen-gefasst zeichnete sie mir dann das Bild eines absoluten Machos. Er lässt sich von vorn bin hinten bedienen, trägt nichts zur Kindererziehung und noch weniger zum Haushalt bei. Ich hatte volles Mitgefühl. Umso überraschter war ich dann als ich herausfand, dass sie in der genau dieser Rolle aufgeht. Ich konnte es an ihren Augen sehen. Innerlich war ich sprachlos. Es widerspricht allem, was mir persönlich wichtig ist. Aber es ist eben mir wichtig. Nicht ihr. Solange keinem Schaden zugefügt wird und sich beide wohlfühlen in ihren Rollen, haben wir kein Recht, das zu be- oder zu verurteilen. 

 

Wir haben aber jedes Recht es in unserer Beziehung anders zu machen.

Wir können Menschen nicht verändern

Viele von uns haben eine bestimmte Vorstellung davon, wie eine Beziehung sein soll. In der Verliebtseins-Phase ist das alles noch nicht so wichtig. Mit der Zeit aber verschwinden die rosaroten Wolken und unsere Bedürfnisse treten wieder in den Vordergrund. Wenn dann das große Erwachen kommt, versuchen wir alles, damit unsere Beziehung in unser Bild passt. Der Partner bzw. die Partnerin soll am besten genau das tun, was wir wollen oder brauchen. Häufig, indem wir versuchen, den anderen zu verändern. Was wir jedoch vergessen. Man kann andere nicht verändern. 

Wenn ich mich in einen geselligen Menschen verliebe und dann verlange, dass dieser bei mir zu Hause bleibt, weil mir Zweisamkeit wichtig ist, wird das vermutlich in einer Enttäuschung enden. Oder um ein eigenes Beispiel anzuführen: ich habe meinen Mann im Rahmen eines Auftrags auf einem Schiff kennengelernt. Er war quasi mein Ansprechpartner seitens des Kunden. Liebe gehörte nicht zum Auftrag. Die erwischte und einfach so. Worüber wir jedoch überhaupt nicht nachgedacht haben. Er arbeitet 24 Stunden, 7 Tage die Woche und das vier Monate am Stück. Er ist dann einfach mal weg. Jetzt könnte ich ihm ans Herz legen, sich einen Job an Land zu suchen. Ich könnte es etwas subtiler ganz im Sinne von Watzlawick formulieren: „Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du dir einen Job an Land suchen.“ Wenn ich ihn wirklich liebe, lasse ich ihn da, wo er ist Er liebt seinen Job. Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Was aber, wenn es nicht auszuhalten. Wenn vier Monate allein einfach zu lang sind. Doch auf Veränderung drängen?

Akzeptieren ist auch eine Form loszulassen

Das Zauberwort heißt Akzeptanz. Zum Beispiel zu akzeptieren, dass eine bestimmte Sache, die mir wichtig ist, sich nicht ändern wird. Gelingt mir das, bin ich meist nicht mehr angriffslustig, sondern eher traurig. Traurig, weil ich etwas loslassen muss. In meinem Fall wäre zu akzeptieren, dass ich vier Monate auf mich gestellt bin. Wenn ich dazu „ja“ sage und es akzeptiere, dann können wir schauen, wie wir diese vier Monate gut überbrücken. Ich würde ihm aber nicht ständig in den Ohren liegen wie ätzend es ist, dass er nicht da sein kann. Wenn ich „nein“ dazu sage, muss ich unsere Beziehung und damit ihn loslassen. Das Gute daran ist, es ist ein neuer Status erreicht, in dem manchmal etwas Gutes und Neues entsteht.

 

Zurück zu den toxischen Beziehungen. Wann weiß ich, dass ich in einer toxischen Beziehung stecke oder gar selbst toxisch bin? Natürlich gibt es Hinweise, das zu erkennen. Das Internet ist voll von Merkmalen. Da ist die Rede von „doppelten Botschaften“, „Love-Bombing“, „Mikrogewalt“, „übermässige Kontrolle“, „Gaslighting“ oder auch „Schweigen“ um nur einige zu nennen. Alles Verhaltensweisen, die auf die ein oder andere Weise manipulieren.

 

Was tun. Nun ja. Der erste Schritt ist immer miteinander sprechen. Wichtig dabei ist: es geht nicht um Recht haben und überzeugen. Es geht um miteinander reden und deutlich machen, was konkret stört und welche Verhaltensveränderung erwartet wird. Bevor man jemanden also gleich als toxisch abstempelt: reden hilft. 

 

Und wenn Reden nicht (mehr) hilft: Geh! Es ist deine Entscheidung.

(*1) Psychologie heute Compact, Schwierige Beziehungen, Artikel: „Es ist kompliziert“, Anne Otto, Seite 16, Beltz 2021, Heft 67

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Toxische Beziehungen

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