Alles eine Frage der Perspektive

Es ist was es ist sagt die Liebe

«Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe.»
(Erich Fried)

Wenn ich übers Fremdgehen nachdenken, bin ich wütend

Wenn ich übers Fremdgehen nachdenke, nehme ich eher die Positionen der Vernunft, des Stolzes, der Vorsicht und der Erfahrung ein. Ich kann wenig Gutes darin sehen, wenn ein Mensch einen anderen belügt und betrügt. Es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, was diese Menschen antreibt. Zumindest wenn ich selbst betroffen bin. Beruflich ist das anders. Es fällt mir leicht, mich in diese Situationen hineinversetzen. Ich kann den Schmerz und die Unentschlossenheit nachvollziehen, oder auch die Freude und die Freiheit, die manch einer empfindet. Es steht mir nicht zu, meine Klienten zu bewerten. Ich hatte zeitweise auch großes Mitgefühl mit meinem Mann. Die Betonung liegt aber auf zeitweise. Ich bin seine Partnerin, nicht sein Coach. Und in der Rolle der Partnerin wollte ich nicht verständnisvoll sein. Ich war verletzt und ich wollte wütend sein. Am Ende war es aber wie in diesem Gedicht. „Es ist was es ist“ Was auch immer es ist.

Es war das Gesamtpaket. Es war nicht nur Sex

Erst kürzlich hatten wir nach langer Zeit mal wieder darüber gesprochen, warum seine Geliebte sich so lange das alles hat mit sich machen lassen. Oder anders formuliert, warum er so lange an ihr festgehalten hat. Für mich gibt es da nur einen Grund: der Sex muss richtig gut gewesen sein. Er verteidigt sich und die Trulla dann immer mit: „Es war das Gesamtpaket. Es war nicht nur Sex.“ Das macht es natürlich gleich viel besser. Aber an diesem Punkt bleibe ich stur. Wenn es das Gesamtpaket gewesen wäre, wieso hat er sich dann nicht für sie entschieden? Wieso war es ihm unangenehm, sich mit ihr zu zeigen? Nur weil er nicht auffliegen wollte? Weil ich ihm so wichtig war? Blödsinn. Eine Frau, die als Gesamtpaket großartig ist, wird nicht versteckt. Die will man doch zeigen. Also was ist es dann?

Üblicherweise kommen jetzt Standardausreden. Angefangen bei „es geht nicht wegen der Kinder“ über „wie sind schon so lange zusammen, uns verbindet so vieles“ bis hin zu „es geht nicht, weil ich das meiner Frau nicht zumuten kann“. Bla bla bla. Am Ende geht er nicht, weil er nicht gehen will. Und wenn er nicht gehen will, aber trotzdem bei der Geliebten bleibt, was hält ihn dann? Ihr Humor? Ihre charmante Art? Ihre Bildung? Das mag ja alles zutreffen, aber meistens treffen sich die beiden ja nicht, um ins Museen zu gehen oder zu philosophieren. Ich stelle mit vor, wie sich die Geliebte aufbretzelt, um möglichst attraktiv zu sein, sich von der besten Seite zeigend, Probleme werden an die Seite geschoben, nur um ihm zu gefallen. Würde ich vermutlich auch so machen, wenn ich ihn nur alle Schaltjahre zu Gesicht bekomme. Sie wird versuchen ihm all das zu bieten, von dem sie glaubt, dass er das zu Hause so nicht bekommt. Und dann? Landen die beiden im Bett, quatschen noch ein wenig und schon ist die wundervolle Zeit vorbei und er muss wieder los. Was genau war jetzt noch mal das Wichtigste?

Sei wenigstens ehrlich zu dir selbst

Wenn mich etwas echt wütend macht, dann sind das Menschen, die sich selbst was in die Tasche lügen und mich für dumm verkaufen wollen. Wie anmaßend werden jetzt einige sagen. Woher nimmt sie das Recht zu wissen, was ihn an dieser Frau fasziniert hat. Das kann ich leicht beantworten. Die Art und Weise wie er von ihr erzählt und was er sagt.

Habt ihr schon mal genau hingehört, wenn Paare gemeinsame Geschichten erzählen? Dabei kommt es nicht darauf an, was erzählt wird, sondern wie und wie die beiden interagieren, wenn sie erzählen. Übrigens kann man laut Gottman mit 94-prozentiger Wahrscheinlichkeit allein aus der Geschichte vorhersagen, welche Paare drei Jahre später noch zusammen sein würden und welche nicht. John Gottman, ist so etwas wie der Papst des Beziehungsglücks. Nicht nur, weil er ein guter Beobachter ist – sondern auch, weil der Wissenschaftler in scheinbar nebensächlichen Details des Alltags die Aspekte erkennt, die für den Verlauf von Beziehungen größte Relevanz haben. Paare, die sich später trennen, so Gottman, machen weniger liebevolle Bemerkungen über den Partner und seine Eigenarten in ihren Geschichten, dafür mehr negative. Außerdem banalisieren sie die Kennenlern-Geschichte eher, verheddern sich häufiger in der Erzählung oder widersprechen einander. Auch reden sie seltener von „uns“ als von „mir“ und „dir“. Paare, die zusammenbleiben, haben ihre Geschichten dagegen viel häufiger glorifiziert, idealisieren den Partner beim Reden und Erzählen die Geschichte übereinstimmend und mit einem starken Wir-Gefühl.[1]

Wenn mein Mann von dieser Frau erzählt hat, beschrieb er sie als jemanden, der gerne lacht und schnell Kontakt findet. Wenn er mit ihr ausgegangen ist, war sie ihm jedoch peinlich, weil sie von jedem Kerl angequatscht wurde und das auch zuließ. Auf der einen Seite mochte er die gesellige Art und auf der anderen Seite verurteilte er sie. Am Ende war für ihn klar, dass diese Frau nie und nimmer eine Partnerin sein könnte. So, und warum genau, hat das dann doch die Jahre gehalten? Doch sicher nicht, weil sie so gesellig war. Also das Gesamtpaket kann er sich getrost sonst wohin stecken. Ob es der Sex war? Keine Ahnung. Darüber spricht er nicht. So genau will ich es auch gar nicht wissen. Am Ende ist es was es ist.

[1] vgl. Die Vermessung der Liebe, John Gottmann, Klett-Cotta und
https://www.welt.de/print/wams/wissen/article144181516/Wie-begann-Ihre-Liebe.html, „Wie begann Ihre Liebe?, Fanny Jiménez, Welt, aufgerufen am 13.03.2023

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