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Dies & Das Gedankenwelt

Warum hast du ihn zurückgenommen?

Zurückgenommen? Wann habe ich ihn weggegeben?

Warum hast du ihn zurückgenommen? Interessante Frage. Während ich darüber nachdenke, stelle ich fest, dass ich darauf so schnell gar nicht antworten kann. Ich kaue auf diesem Wort zurücknehmen rum? Wenn ich jemanden zurücknehme, hätte ich ihn ja zuvor weggegeben. Ich habe meinen Mann aber nicht weggegeben. Nicht willentlich und schon gar nicht wissentlich. Das hat er schon ganz allein entschieden. Oder um seine Worte zu zitieren: es ist passiert. Zurücknehmen ist aus auch kein Wort, das ich in Verbindung mit Beziehung bringen würde. Aus meiner Sicht entscheiden sich Menschen füreinander. Sie nehmen sich nicht einfach. Außer die Schwaben vielleicht, denn deren Liebeberklärung lautet „dann nemm I di halt“ 😊 Scherz.

 

Was ist die Frage hinter der Frage?

Was ist eigentlich die Frage hinter der Frage? Und jetzt muss ich grinsen. Denn dann ist nicht mehr die Frage selbst relevant, sondern diejenigen, die die Frage stellen. Gerade beim Thema fremdgehen, hatten und haben wir immer das Gefühl, dass es mehr um die anderen, weniger um uns ging. Jeder gut gemeinte Rat, jede Form der Fragestellung verriet uns mehr über das Wertesystem derjenigen, mit denen wir gerade sprachen.

 

 

Eine Geliebte beispielweise regte sich darüber auf, dass ihr Lover gerade mit der Familie in Urlaub sei. Warum machen die Ehefrauen das überhaupt mit, fragte sie sich? Und warum nehmen so viele ihre fremdgehenden Männer zurück? Steckt dahinter nicht viel mehr die Frage, warum er mit der Ehefrau und nicht mir ihr in den Urlaub fährt und warum er nicht endlich Schluss macht? Wie kann FRAU so einen Arsch überhaupt noch akzeptieren? Hm. Aber genau dieser Arsch ist für diese Geliebte der Traummann. Wieso nimmt die Geliebte den Kerl immer wieder zurück, wäre eine adäquate Gegenfrage.

 

Oder die Kollegin, die nicht nur fragt, warum ich meinen Mann zurücknehme, sondern auch noch wissen will, wo denn mein Stolz bliebe. Was hat denn Stolz damit zu tun?

 

 

Der Architekt hat Türen vorgesehen, die man von außen schließen kann

Ich habe meinen Mann nicht zurückgenommen. Im Gegenteil. Ich habe ihn, nachdem er mir verkündet hatte, er wäre in diese andere Frau verliebt, rausgeschmissen. Nicht jede würde das machen, das weiß ich. Ich habe es getan, weil er sich sicher war, die richtige Entscheidung getroffen zu haben: für sie, gegen mich. Da brauchte ich nicht lange zu überlegen. Der Architekt hat für solche Fälle Türen vorgesehen, die man von außen schließen kann. Ich bin mir nicht sicher, ob ich meinen Mann vor die Tür gesetzt hätte, wenn er Zweifel gehabt hätte. Vermutlich hätten wir dann versucht eine Lösung zu finden, um unsere Beziehung zu retten. Wollte er aber nicht. Also raus mir ihm.

 

Er ging und kam wieder. Aber zurück genommen habe ich ihn nicht. Wir haben uns auf neutralem Boden getroffen, um zu prüfen, ob es Sinn macht, wieder zusammen zu kommen. Ein Neustart quasi. Nur ohne verliebt sein und Schmetterlinge im Bauch. Eher mit viel Tränen, Schmerz und Enttäuschungen. Wenn wir einfach da weitergemacht hätten, wo wir aufgehört haben, wären wir ratzfatz in der gleichen Dynamik gelandet und die mündete ja bekanntermaßen im Super-Gau.

Ich weiß aber von Paaren, die einfach wieder zur Tagesordnung übergehen. Da wird hoch und heilig versprochen, dass man nie wieder so einen Scheiss machen würde und von jetzt an alles besser werden wird. Aha, denke ich da nur und muss diesen wütenden Geliebten Recht geben. Warum soll jetzt plötzlich alles gut sein? Nur weil man sich selbst einredet, es sei ein Ausrutscher gewesen? Ausrutschen. Wenn ich das schon höre. Das klingt genauso bescheuert wie „es ist passiert“. Wo bleibt da die Eigenverantwortung?

 

Manche Menschen wollen belogen werden

Manche Menschen wollen belogen werden, das habe ich im Laufe meines Berufslebens gelernt. Ich war immer wieder sprachlos, was Menschen alles zu glauben gewillt sind. Warum sollte das im Privatleben anders ein. In einem Interview von ZeitWissen mit Prof Robert Feldmann ist dies sogar bestätigt. Auf die Frage, warum wir so viel lügen, sagt Feldmann, dass Lügen der Schmierstoff der Kommunikation sei. Die Menschen wollen oftmals nicht die Wahrheit hören, sondern etwas, mit dem sie sich gut fühlen.[1]

 

Manchmal haben wir vor der Wahrheit sogar mehr Angst als vor der Lüge. Als fragen wir erst gar nicht. Interessante Phänomen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum das Umfeld Fragen stellt wie: „Warum hast du ihn zurückgenommen?“

 

Selbsttäuschung macht das Leben schöner

Als ich erfuhr, dass mein Mann mich drei Jahre lang betrogen hat, zweifelte ich an mir und meiner Menschenkenntnis. Wie konnte ich das übersehen und was habe ich in der Zeit noch alles übersehen. Woran hätte ich es erkennen können, fragte ich mich und ging auf die Suche. Ich fand unzählige Artikel und Bücher zum Thema Lügen erkennen. „Wie finde ich heraus, dass er mich belügt?“ oder „Sichere Anzeichen für eine Lüge“ sind nur einige der Begriffe, die in Google hohe sechsstellige Trefferquoten auswerfen. Ich fand aber auch Artikel und Bücher zu „Selbsttäuschung.“ Wie gesagt, wir lieben es uns selbst zu belügen. Und ich gehörte wohl dazu. Ich wollte nicht sehen, was offensichtlich war. Im Nachhinein habe ich erkannt, dass ich nicht noch eine Baustelle in meinem Leben aufmachen wollte. Also habe ich die Augen verschlossen und so getan, als würde ich nicht merken, dass mein Kerl grad völlig abdreht. Mit dem Ergebnis, dass er Menschen verletzt und schlecht behandelt hat. Nicht nur mich, auch sich selbst und nicht zuletzt seine Geliebte. Selbsttäuschung macht das Leben also schöner. Du befreist dich von Schuld, Schmerz, Fehlern und all den negativen Seiten deiner Persönlichkeit und am Ende sind dann die anderen schuld – oder es waren unglückliche Umstände.

 

Für mich beinhaltet die Frage nach dem zurücknehmen vielmehr Unverständnis für meine Entscheidung, als wirkliches Interesse. Es schwingt ein „ich hätte anders entschieden“ mit. Aber ich bin ich und du bist du. Mein Leben, meine Entscheidung. Und wie du entschieden hättest oder entscheiden würdest, ist für meine Entscheidung nicht relevant. Ich verstehe aber deine Sorge hinter der Frage.

 

 

 

[1] ZeitOnline, Lügner sind sympathisch, Tobais Hürter, 10. April 2012, zeit.de, aufgerufen am 03.03.2023
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/03/Interview-Robert-Feldman?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F