Ich brauche einen neuen Kopf. Der alte denkt zu viel.

Mein Mann und ich sind glücklich. Es läuft besser denn je. Irgendwie scheint seine wahnwitzige Aktion des Fremdgehens auch seine guten Seiten zu haben. Doch es gibt eben auch die andere Seite der Medaille. Und die wird mir bewusst, als ich „Your Song“ von Elton John höre. Ich gehöre ja zu den Menschen, die nicht nur die Melodie in sich aufnehmen, sondern auch den Text, was manchmal echt nervig ist. Was da ab und an für ein Schwachsinn verzapft wird. Unglaublich. Aber ich schweife ab. Ich höre „How wonderful life is while
you’re in the world“ und merke, wie ich traurig werde. Dieser Satz würde so nicht mehr über die Lippen komme. Warum eigentlich nicht?

Er war mein ein und alles

Ich erinnere mich an Zeiten, in denen ich zur Arbeit fuhr, in Gedanken bei der Liebe meines Lebens. Dieses wohlige Gefühl werde ich nie vergessen. Es war wundervoll. In diesen Augenblicken fühlte mich ihm ganz nah. Auch nach all den Jahren noch, die wir schon zusammen waren. Ich war glücklich, dass es diesen wundervollen Menschen in meinem Leben gab und ich war stolz, dass wir zusammengehörten. Für mich war er mein ein und alles. Und jetzt? Ja wie erkläre ich das? Im Jetzt ist alles gut. Ich bin glücklich. Genieße. Freue mich. Aber alles, was VOR dieser unsäglichen Zeit stattfand, stelle ich in Frage. Als wäre das, was wir hatten eine einzige Lüge gewesen. Denn wenn es echt gewesen wäre, wäre er nicht fremdgegangen. Ist doch so, oder etwas nicht?

 

Als ein sehr guter Freund meines Mannes mich bei einem Abendessen daran erinnerte, wie begeistert mein Mann von mir ist, wie sehr er von mir schwärmt und wie toll er mich immer noch findet, erwische ich mich, wie ich abwinke. Ich kann diese Begeisterung nicht wertschätzen. Und ärgere mich darüber. Es fällt mir schwer über meinen Schatten zu springen und ich bedaure so sehr, dass ich es aktuell nicht schaffe, von ganzem Herzen zu lieben. Es schien alles so unbeschwert, so leicht. Und jetzt? Alles weg. Verloren. Verborgen hinter Bildern von Frauen, die er in mein Leben gedrängt hat. Frauen, die ich nicht kenne und auch nicht kennen möchte. Es fühlt sich an, als würde unsere Liebe ohne Fundament sein. Ich liebe ihn. Ohne Zweifel. Aber nicht mehr wie früher. Ist das gut? Oder schlecht? Oder einfach nur anders? So ein Supergau geht einfach nicht spurlos vorüber. Und ich bin echt schlecht im Verdrängen. In meinem früheren Leben muss ich ein Elefant gewesen sein. Mist!

Täglich grüßt das Murmeltier

Mein Coach würde sagen, ich drehe eine Ehrenrunde. Vermutlich denke ich zu viel. Während Männer angeblich zu viel schweigen, denken Frauen zu viel. Laut der Psychologin Susan Nolen-Hoeksema [1] tappen Frauen tatsächlich öfter in die Grübelfalle, während Männer eher Antriebslosigkeit oder Versagensängste plagen. Sie verweist dabei auch auf Geschlechterunterschiede in der Hirnaktivität, wonach Männer bei Entscheidungen vor allem das rechte Stirnhirn, das auch an der emotionalen Kontrolle beteiligt ist, aktivieren und bei Frauen sich vermehrt die linke (sprachbegabte) Hemisphäre regt. Überspitzt gesagt: Männer wollen Probleme wegdrücken, Frauen darüber reden. Nolen-Hoeksema betont aber auch, dass diese Unterschiede zwischen Männern und Frauen keineswegs biologisch bedingt sind, dennoch klingt es irgendwie vertraut. Spannend ist, dass sie drei Formen des weiblichen Grübelns unterscheidet: übertreibendes, chaotisches und sich selbst verstärkendes. Während die erste Form eine einfach Überbetonung eines Ereignisses ist, werden bei der zweiten Form Dinge verquickt, die nichts miteinander zu tun haben. Mir kommen da gleich Zahnpastatuben und vergessene Jahrestage in den Sinn. Bei der dritten Form versteifen sich die Betroffenen auf bestimmte, vermeintlich unbezweifelbare Annahmen, unter denen sie dann leiden. Die klassische Selbstabwertung, wie wir sie im Coaching bezeichnen würden. Darin erkenne ich mich wieder. Ich versinke mal wieder in Selbstmitleid und frage mich warum? Aber nicht „Warum hast du das gemacht?“, sondern „Warum passiert gerade mir das?“, „Womit habe ich das verdient?“. Ich drehe mich im Kreis und fühle mich wie in „Täglich grüßt das Murmeltier“.

Ich gönne mir eine Ehrenrunde!

Es kotzt mich an, dass mein Mann so ein Arsch war. Ich bin traurig, dass es nicht mehr so unbeschwert ist, wie es mal war. Es nervt mich, dass ich immer wieder an diese blöden Weiber denke. Sollte ich es halten wie diese Carina in „Ich schenke dir die Hölle auf Erden“? Ne, das bin ich nicht. Und es hilft ja nichts. Ich liebe ihn. Trotzdem. Also, Augen zu und durch und dem Gehirn eine Pause gönnen. Sehen wir es doch mal so. Ich habe mich entschieden bei ihm zu bleiben. Was ich mir aber ab und zu gönne ist eine Ehrenrunde.

[1] vgl. Locker Lassen, Stev Ayan, Klett-Cotta, 2016

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