Hilfe! Ich schaff das nicht!

Ich dachte, das wird ein lustiger Mädelsnachmittag. Falsch gedacht. Eine der Mädels hatte ein Häufchen Elend dabei. Die große Schwester. Frisch verlassen. Nach 26 Jahren Ehe hatte der Göttergatte entschieden, sich eine andere zu nehmen.

„Wie lange geht das schon?“, fragen die Mädels. „Seit Anfang des Jahres“, schnüffelt sie. Sie wird mit Fragen bombardiert und schafft es sich zu beruhigen, während sie erzählt. Ich höre nur zu und beobachte. Täglich grüßt das Murmeltier denke ich. Jede Geschichte ist irgendwie gleich und doch anders. Ich kann den Schmerz so gut verstehen. Der Körper erinnert sich. Ich erinnere mich.

Sie hat das Buch schon gelesen, sagen die Mädels und schauen mich erwartungsvoll an. Das ist schön denke ich, bringt nur nichts. Wenn es so einfach wäre, hätten wir wohl schon längst einen Nobelpreis verdient.

 

Sie hat noch nicht akzeptiert, dass das alte Leben vorbei ist. 

Ich betrachte diese Frau und sehe ihre Traurigkeit. Ich sehe aber auch ihre Hilflosigkeit. Sie ist noch nicht soweit, mit dem Buch etwas anfangen zu können. Sie hat noch nicht akzeptiert, dass das alte Leben vorbei ist. Noch klammert sie. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Ich bin hin und her gerissen, ob ich etwas sagen soll. Im Prinzip geht mich das nichts an. Ich habe keinen Auftrag. Zudem habe ich frei. Es ist Sonntag. Mich ärgern aber die wenig hilfreichen Kommentare der anwesenden Gäste. Egal ob männlich oder weiblich. Die Ärmste wird beschwatzt wir ein sturer Esel, der nicht laufen will. Sie nickt, sie weint und was mich innerlich ausflippen lässt, sie wird durch die Angriffe auf ihren Mann eingeladen, ihn zu verteidigen. Sie liebt ihn. Immer noch. Trotzdem. Sie will ihn wieder haben. Und erhält 1.000 Tipps, was sie tun und lassen soll. Ich könnte schreien.

 

Einfach nur da sein ist manchmal besser als jeder Rat

„Wir müssen zusammenhalten,“ sagen die Mädels. Ja, das müssen wir. Aber nicht in dieser Sache. Wir haben keine Ahnung, was da bei den beiden los ist. Und wir werden es vermutlich auch nie in Gänze verstehen. Müssen wir auch nicht. Große Augen schauen mich an. Ich habe das laut gesagt. Mist. Also erkläre ich mich und frage, ob ihnen aufgefallen ist, dass die Dame ihren Mann verteidigt hat. Dass sie im Moment alles tut, um ihn zurück zu bekommen. Dass sie noch nicht akzeptiert hat, dass ihre Ehe erstmal zu Ende ist. Alles was sie an gut gemeinten Ratschläge bekommt, fällt nicht auf fruchtbaren Boden. Es ist zu früh. Was sie braucht, ist eine Schulter zum Ausweinen. Vielleicht Ablenkung. Vielleicht Trost. Vielleicht aber auch Ruhe und Alleinsein. Wir drängen uns immer gerne auf und wollen helfen. Das ist zwar ein wunderbarer Ansatz, manch einem will aber nicht geholfen werden. Insofern wäre es besser zu fragen, was man denn für die tun kann. Ob sie reden will? Oder lieber einfach nur dabei sein? Betroffen blicken mich die Mädels an. Und jetzt? Und jetzt sage ich, fahren wir nach Hause. Ich zumindest. Es ist spät und kalt und im Dunkeln fahre ich nicht so gerne Motorrad. Also machen wir uns auf den Weg.


Ein Schritt nach dem anderen

Bevor wir fahren, frage ich die Dame noch, ob sie jemanden hat, mit dem sie reden kann. „Ja, viele Freunde“. „Ne, das meinte ich nicht“, sage ich ihr. Ob sie einen Coach oder Therapeuten hat. Hat sie. Das ist gut. Freunde sind wichtig. Aber meist sind sie nicht die richtigen Ansprechpartner für diese Themen. Zu nah dran. Zu parteiisch. Was es jetzt braucht, ist jemand, der ihr hilft, sich selbst zu entdecken. Herauszufinden, wer sie ist und was sie will. „Ich will ihn zurück“, sagt sie. Das verstehe ich so gut. Sie beschreibt, was sie alles macht, um ihn zurückzubekommen. „Und?“, frage ich, „was sagt er dazu?“. „Es nervt ihn“, ist die Antwort. „Also ist dieser Weg nicht so erfolgreich?“ „Nein, ist er nicht“, weint sie. „Dann schau doch mal auf dich. Was dir wichtig ist und was dich ausmacht“, sage ich behutsam und dann brechen die Dämme. „Ich schaffe das nicht!“, schluchzt sie.  Ich versuche zu verstehen, was sie mir sagen will und ahne was es ist. Sie war immer für ihn und die Familie da, hat alles gemacht, sich aufgeopfert. Ich sehe ihren Schmerz und hab Tränen in den Augen. Vor mir tut sich ihr Weg auf. Er ist so weit. Aber sie wird ihn gehen. Einen Schritt nach dem anderen.manc

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